Tag 31/1

Datum: Donnerstag, 21. Mai 2015
Strecke:  von Monte de Gozo nach Santiago de Compostela
Distanz: 4,7 km
Gehzeit: 06:50 bis 9:00 Uhr
Wetter: etwas bewölkt, ab ca. 8.00 Uhr sonnig, mittags heiß
Allgemein: Was soll man sagen? Geschafft! Jaaaa. ICH HABE ES GESCHAFFT!

Original Eintrag von meinem Tagebuch:
6:20 Uhr aufstehen. Die Nervosität steigt!
Ja, und so war es auch! Um 6.50 Uhr machten sich Theresia und ich bereit für die letzte Etappe. Ein
komisches Gefühl. Glücklich, erwartungsvoll, gespannt, unsicher: Alles mit einander, in mir herrschte ein Gefühlschaos! Aber bei Theresia war es nicht anders. Wir liefen an der öffentlichen Herberge vorbei und wer kam in dem Moment heraus? Sepp, mein alter Freund. So liefen wir mit ihm und zwei weiteren Pilgern los. Vorbei an einem Schild, dass an einem Holzmast hängt: Catedral 4,7km. Nur noch 4,7km und wir waren am Ziel! 
Danach kamen noch mehrere Schilder, die an Bäumen hingen: Be the change! Sei die Veränderung! Hatte mich der Weg verändert? Veränderte ich mich, oder die Welt? Fragen über Fragen. Und noch keine Antworten. Gesprochen wurde relativ wenig. Jeder war mit sich und seinen Gedanken beschäftigt. Bald hatten wir den Stadtrand von Santiago erreicht. 
Anschließend gingen Theresia und ich noch etwas frühstücken. Sepp und seine Begleiter gingen weiter, wir würden sie bestimmt wieder sehen. So stärkten wir uns mit einem Kaffee und einen Hörnchen. In dem Cafe gab es auch Tabakwaren. Ich überlegte mir kurz, ob ich mir eine Zigarre kaufen sollte und an der Kathedrale genüßlich rauchen sollte. Ich verwarf aber recht schnell den Gedanken, da ich schon seit 2002 mit dem Rauchen auf gehört hatte. Nicht, dass ich wieder anfangen würde oder mir gerade in dem Moment an der Kathedrale übel werden würde. So zogen wir weiter sehr ruhig Richtung Innenstadt. Ich kramte in meinen Handy und spielte das Lied" You never walk alone", das berühmte Lied von Garry and the Peacemaker, dass vom Liverpooler Fußballstadion in die ganze Welt zog. Ich fand das paßte jetzt hervorragend.
Hier die Übersetzung des Textes ins Deutsche:


Wenn du durch einen Sturm gehst,
Geh erhobenen Hauptes
Und habe keine Angst vor der Dunkelheit.
Am Ende des Sturms
Gibt es einen goldenen Himmel
Und das süße, silberhelle Lied einer Lerche


Geh weiter, durch den Wind,
Geh weiter, durch den Regen,
Auch wenn sich alle Deine Träume in Luft auflösen.
Geh weiter, geh weiter, mit Hoffnung in deinem Herzen
Und du wirst niemals alleine gehen,
Du wirst niemals alleine gehen


Geh weiter, geh weiter, mit Hoffnung in deinem Herzen
Und du wirst niemals alleine gehen,
Du wirst niemals alleine gehen


Theresia und ich hielten uns ganz fest an den Händen. Beide mußten wir schlucken, beide bekamen wir Tränen in die Augen. Wir umarmten uns schluchzend! Wir weinten! Es war der emotionalste Moment auf dem Camino!
Wir beruhigten uns wieder und gingen weiter. Es war ganz komisch. Wochenlang fiebert man auf diesen einen Moment hin, endlich an zu kommen. Und jetzt? Ich weiß nicht, ich wollte gar nicht mehr ankommen. Diese schöne Zeit der letzten Wochen sollte einfach nicht enden. Ich wollte das nicht!       Weiter ging es durch die Strassen und dann den Gassen der Altstadt von Santiago. Plötzlich konnte man schon den ersten Turm der Kathedrale sehen. Dann verschwand er wieder. Auf dem Boden konnte man in vielen Sprachen den Spruch: EUROPA IST AUF DER PILGERSCHAFT GEBOREN lesen.
Viele Menschen waren an diesem Morgen unterwegs, wie es halt so ist in einer Stadt mit Nahe zu 100 000 Einwohnern. Pilger sah man nicht so viele. Das war es ja, was ich mir so vorgestellt hatte. Nicht in einem Pulk aus Pilgern hinein geschwemmt werden nach Santiago. Auch die Sonne schien vom Himmel. Es heißt ja: Jeder bekommt den Einzug in Santiago, den er verdient hat. Und mein Einzug war schön!
Dann plötzlich öffnete sich die Gasse und auf der rechten Seite sah man die Pforte vom Kloster San Martin Pinario und auf der linken Seite den seitlichen Eingang der Kathedrale. Theresia und ich hatten uns schon unterwegs darauf verständigt, dass wir getrennt den Kathedralenvorplatz betreten und diesen Moment alleine erleben wollten. So verabschiedeten wir uns kurz vor dem Pilgertor, durch das man dann den Kathedalenvorplatz betritt. Theresia ging voran, ich machte noch ein paar Aufnahmen und dann schritt auch ich durch das Tor hindurch.
Man sieht den großen Vorplatz, rechts das Paradores Hotel, und gegenüber der Kathedrale den Palais de Raxoi. Die Kathedrale hatte ich im Rücken. Ich lief bis in die Mitte des Obradoiro Platzes und dann drehte ich mich um:

ICH HATTE ES TATSÄCHLICH GESCHAFFT! ICH STAND VOR DER KATHEDRALE VON                                 SANTIAGO DE COMPOSTELA

Und dann? Irgendwie erlebt jeder diesen Moment anders. Ich war etwas verloren. Ich wußte nicht wohin mit meiner Freude, meinen Gefühlen. Vielleicht war es doch nicht ganz das Richtige, alleine an zu kommen. Niemand, den man umarmen kann, niemand mit dem man seine Freunde teilen kann. Erst als ich mit meinem Handy ein kleines Video aufnahm, dass ich nach Hause schicken wollte, kamen beim Reden die großen Gefühle auf. Die Stimme stockte, ich mußte schlucken, die Tränen kamen. Und da war es dann doch. Dieses rießengroße Glücksgefühl, den Jakobsweg von SJPDP bis nach Santiago de Compostela geschafft zu haben:

ICH HATTE MEINEN TRAUM VERWIRKLICHT 

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